Goethe

Goethe: "Das Märchen"
als politische Utopie

von Simon Hollendung

2.1. Die politische Situation und Goethes Reaktion

Im Jahr 1795, also sechs Jahre nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juni 1789, erscheint Das Märchen als abschließender Teil der Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Goethe weiß um die soziale Not, die zusammen mit einem strengen Winter die Französische Revolution vorangetrieben hat, er steht allen politischen Veränderungen von unten aber skeptisch gegenüber. Seine reformkonservative Haltung verurteilt vor allem die Greueltaten, die Revolution und Gegenrevolution hervorgebracht haben, weil die positiven Folgen - an die Goethe auch glaubt - noch nicht zu sehen sind. Vor allem die Symphatisanten in Deutschland kann er nicht verstehen, politische Veränderungen kann es für ihn nur von oben geben.
Goethe befasst sich mit der Revolution wie kein zweiter Schriftsteller in Deutschland, er sieht sie trotz aller Kritik als Folge einer großen Notwendigkeit und nimmt mit Fürst Karl August im Juni 1792 am Feldzug gegen dieses revolutionäre Frankreich teil. In seiner Campagne in Frankreich beschreibt er daraufhin die Flüchtlinge aus Speyer, Worms und Mainz.[3]
Dieser ersten "Emigrantenliteratur" folgen die Unterhaltungen im Jahre 1795, die sehr deutlich unter dem Eindruck der Flüchtlingssituation stehen, dann mit Hermann und Dorothea (1797) ein Versepos und mit Der Bürgergeneral und Die Aufgeregten zwei Dramen zum Thema, die bereits 1793 entstanden sind.
In dem Jahr, indem die Unterhaltungen geschrieben und gedruckt werden, ist die Jakobinerherrschaft bereits wieder zu Ende. Dem großen Terror unter Robespierre (1793/4) folgen am 27. Juni 1794 gemäßigte Republikaner, die unter dem Direktorium mit der Expansion Frankreichs in zahllosen Eroberungskriegen (später dann unter Napoleon) begannen.[4]

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[3] Köthe, Regina: Vor der Revolution geflohen. Exil im literarischen Diskurs nach 1789, Wiesbaden 1997. S. 72ff.

[4] Vgl. Geiss, Immanuel: Geschichte griffbereit, Bd. 4: Begriffe, München, Gütersloh 2002, Art.: Französische Revolution, S. 600ff.
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